Die goldene Wiege vom Fürstenberg
Quelle: Soester Heimatkalender 1965 ( Wilhelm Becker, Lüttringen)
Die goldene Wiege vom Fürstenberg
Schon ehe Menschen in dieser Gegend lebten, herrschte auf dem Fürstenberg ein Zwergkönig über sein fleißiges Völkchen. Aus den Kräutern, die nur im Fürstenberg wuchsen, brauten sie heilende Säfte.
Aus tiefen Quellen, die weit ins Vorland gingen, sotten sie Salz. Mit den Zwergvölkern im Sauerland und am Rhein tauschten sie ihre Schätze aus. Hochzeiten und Geburten in den Geschlechtern der Zwergkönige wurden als große Feste gefeiert. Dann waren oft viele tausend Zwerge zu Gast.
Einmal brachte ein Prinz von einer Fahrt zum Rhein eine Prinzessin als Braut heim. Als dann das erste Prinzlein geboren wurde, brachte die Sippschaft vom Rhein eine goldene Wiege zum Angebinde mit zum Fest. Hinfort schliefen die Prinzen und Prinzeßlein der Fürstenberger im ersten Lebensjahr in der goldenen Wiege. An schönen Sommertagen wurde die Wiege unter die dicken Buchen gestellt, und die Sonnenstrahlen flirrten und glitzerten in all dem köstlichen Zierrat, und die Zwergkindlein haschten nach ihnen.
Als dann die ersten Menschen in das Waldland kamen, wurde der steile Fürstenberg ihnen eine Zufluchtstätte in Notzeiten. Sie stauten auch die Quelle, die in einer kleinen Mulde auf der Bergeshöhe entsprang, zu einem kleinen Becken, ehe es weiter zur Ruhr hinunterrann. Mit den Zwergen waren sie vertraut und lernten manches von ihnen. Aber eines Sommertages erblickte einer der schweifenden Menschen die goldene Wiege und wurde voller Gier nach dem glänzenden Ding. Mit Not retteten die Zwerge Prinzlein und Wiege in die Tiefe des Berges. So endete das friedvolle Zusammenleben.
Dann wurden große, blondhaarige und blauäugige Menschen Herren des Fürstenberges.
An gefriedeter Opferstätte verehrten sie dort ihre Götter. Wotan und Thor und Balder und Freia.
Sie scheuten die Zwerge und trauten den Unterirdischen Zauberkräfte zu. Der gewaltige Bergwald war ihnen voller Geheimnisse... Sie mieden ihn deshalb. Nur an Opferfesten ihrer Götter betraten sie ihn mit ehrfurchtsvoller Scheu.
Vor mehr als tausend Jahren aber eroberte ein gewaltiger Kaiser von jenseits des Rheins dieses Land.
Der siedelte auf dem Fürstenberg seine Kriegsleute an. Da begann dort ein gewaltiges Bauen. In harter Fronarbeit mussten die Unterworfenen tiefe Gräben in den Felsboden treiben und hohe Wälle aufschichten, dass eine große Wallburg entstand. Auf der Opferstätte der Götter errichteten sie eine Kapelle. Die Eroberer waren Christen. zur Sicherung und Verwaltung seines riesigen Reiches setzte der Kaiser Gaugrafen über die einzelnen Gebiete. Die Gaugrafen sorgten für Frieden und Recht und zogen die Abgaben ein.
Einer dieser Richter erbaute sich auf einem steilen Stein außerhalb der Wallburg ein festes Haus. Er plante, die Wallburg auf der Höhe durch starke Ringmauern mit seiner Burg zu verbinden. Da aber trat nachts der Zwergkönig an sein Bett. Er bat ihn von seinem Vorhaben abzusehen und keine Gewölbe in die Bergtiefe zu treiben, da dadurch die Wohnungen seines Volkes bedroht würden." Wenn du deine Burg nur über dem Felsboden erbaust und unser unterirdisches Reich nicht zerstörst, wird dein Geschlecht dauern bis in die fernsten Zeiten." der Richter stimmte nach einigen Bedenken zu.
Nach einiger Zeit erkrankte das Söhnlein des Grafen an einem hitzigen Fieber. Der Jammer der jungen Mutter rührte die Zwerge. Die Bergmännlein zeigten der Burgfrau die heilenden Kräuter, die am Berghang wuchsen. Ja, sie brachten die goldene Wiege in den Burggarten und legten das Gräflein hinein, und es gesundete alsbald. Und das Geschlecht der Richter lebt heute noch in vielen kräftigen Zweigen. Wegen ihres christlichen Sinnes aber verschwiegen sie den Beistand der Zwerge und errichteten aus Dankbarkeit gegen Gott auf dem Berg die Waldkapelle.
Unser fruchtbares Land hat häufig fremde Kriegsherren gesehen. Es ist kaum zweihundert Jahre her, da lagen sich die Völker auf der Haar monatelang gegenüber. Und die Soldaten raubten das letzte Vieh und das letzte Korn. Damals waren unsere Dörfer dem Rittergut "Füchte" zinspflichtig. Die verarmten Bauern konnten die Abgaben nicht leisten. Da gingen im Frühjahr drei Bauern aus Lüttringen zum Freiherrn. Er war im Wald auf dem Schnepfenstrich. Sie klagten ihre Not. Der Freiherr versprach, von weither Brot zu beschaffen. Den kürzesten Heimweg nahmen die Bauern durch die Schlucht, die an Richters Köpfchen vorbeiführt. Da sahen sie im Grunde aus dem moorigen Boden blaue Lichter aufspringen. Sie sahen aber auch eine fremdgekleidete Frau, die die Stelle umtanzte. Die hielt eine Wünschelrute in den Händen und murmelte unverständliche Sprüche. Einer der Lüttringer Bauern war durch den Krieg erst in die Gegend gekommen. Wegen erwiesener Tapferkeit hatte er von seinem König einen "Heereshof" in Lüttringen erhalten. Er erkannte in der Frau ein Trossweib, dass immer Zulauf von Soldaten gehabt hatte, sei es zur Wundheilung, zum Festmachen oder zum Verkauf geplünderten Gutes. Sie stellten die Frau. Nach vielem Hin und Her und der Drohung, man würde sie dem Gericht als Hexe übergeben, ließ sie endlich verlauten, dass in hier in der Tiefe des Berges ein Schatz verborgen sei. Aber heut sei nicht die Zeit, ihn heben zu können. Das könne erst am Neumond nach Ostern geschehen. Ein Feuer aus geweihtem Holz aber müsse dabei brennen. Und die Schatzgräber dürfen bei der Arbeit kein Wort sprechen, bis sie den Schatz bei der Kapelle hätten. Die Bauern ließen das Weib laufen. Erst lachten sie über die Vermeintlichen Lügen und den verborgenen Schatz. Dann aber erinnerte sich der alte Soldat an viel Verwunderliches, das über dieses Trossweib erzählt wurde. Da beschlossen sie, den Versuch zu wagen. Ostern war bald.
Die drei Lüttringer gingen abends zum Osterfeuer nach Bremen. Aus dem gewaltigen Holzstoß sammelten sie nachher die unverbrannten Prügel. Neumond war schon nächste Woche. Als die Dämmerung sich herabsenkte, entzündeten sie im Siepen unter Richters Köpfchen ihr Feuer, Fuß um Fuß arbeiteten sie sich schweigend in die Tiefe. Um Mitternacht klangen ihre Pickelschläge hohl. Vorsichtig schafften sie die Decke über dem Hohlraum fort. Mit dem glühenden Holz leuchteten sie in die Tiefe. Da stand auf dem Grunde des Schachtes die goldene Wiege. Sie funkelte nur so in der Pracht ihres Zierrates von Gold und edlen Steinen. Zwei Bauern stiegen gleich hinauf und ließen Stricke und Seile in die Grube hinab, der dritte wand mit Vorsicht die Stelle um die Wiege und stemmte sich unter die Kufen, um den Kameraden das Heben zu erleichtern. als er vom Grunde des Schachtes nicht mehr helfen konnte, stieg er neben der Wiege empor. Wie er nun aus dem Schacht kletterte, erblickte er hinter den Brombeeren und Hülskrabben am Rande der Schlucht das Taternweib. Da vergaß er alle Vorsicht und rief warnend: "Dä Olle, dä Olle!" Aber schon rissen die Seile! Die Wiege wuchtete in die Grube hinab. Das Feuer erlosch. Ein plötzliches Unwetter fegte von der Ruhr hinauf. Es goss in Strömen, und es donnerte und blitzte fürchterlich. Da standen nun die drei Schatzsucher bei dem Unwetter in der stockdunklen Wildnis.Sie mussten sich den Heimweg ertasten. Immer wieder gerieten sie in die Brombeeren und Stechpalmen. Mit zerschundenen Händen und Gesichtern, mit zerrissenen Kleidern, ohne ihr Handwerkszeug, fanden sie erst im Morgengrauen heim. Kein Lüttringer Bauer hat je wieder versucht, die goldene Wiege zu heben.